Unter Glasglocken. Passagen zwischen Literatur, Architektur und materieller Kultur
Anaïs Nin mit dem Cover von „Under a Glass Bell“ von Ian Hugo, 1944 © The Anaïs Nin Trust
14:00
online

Vortrag (intern)

Unter Glasglocken. Passagen zwischen Literatur, Architektur und materieller Kultur

Szilvia Gellai

Anaïs Nin, Sylvia Plath und Marlen Haushofer gehören zu einer Reihe von Autorinnen, die sich in Prosatexten und Romanen der Trope der Glasglocke bedienen, um die prekäre innere und äußere Wirklichkeit ihrer Protagonistinnen darzustellen. Bisherige Deutungen begreifen die Metapher der Glasglocke als Ausdruck einer klaustrophobischen Enge und bedrückender psychischer Zustände – von existenzieller Einsamkeit über Melancholie und Depression bis hin zur Psychose –, die vornehmlich auf die gesellschaftliche Repression der Frau zurückgeführt werden. Wiewohl diese Lesart nicht in Abrede gestellt werden kann, fällt sie dennoch eindimensional aus. Vermöge der Praxis des Schreibens durchschreiten die Frauenfiguren nicht nur instabile, mit Hysterie konnotierte Bewusstseinslagen, sondern konstituieren gleichzeitig Räume der radikalen Selbstbestimmung, ‚Räume für sich allein‘ (Virginia Woolf). Um eine derart nuancierte Perspektive zu entwickeln, reichen biographische oder werkimmanente Zugänge nicht aus. Auch die vielschichtige visuelle und materielle Kultur der Nachkriegszeit verdient eine besondere Aufmerksamkeit, zumal die fragliche Anordnung das ‚positive Unbewusste‘ (Michel Foucault) des 20. Jahrhunderts von der Moderne bis in die Gegenwart durchzieht. Als Auftakt des Projekts wird die Traditionslinie weiblich codierter ‚gläserner‘ Narrative im größeren Rahmen des Habilitationsvorhabens vorgestellt.

Szilvia Gellai ist von Januar bis März 2021 Fellow im LOEWE Schwerpunkt „Architekturen des Ordnens“. Der Vortrag bildet den Auftakt ihres Fellowships.