B 1 – Ordnungen des Wissens und der architektur­theoretische Diskurs der frühen Neuzeit
Johannes Kepler, Tabulae Rudolphinae, Ulm 1627, Frontispiz, in: Mapping Spaces, hrsg. von Ulrike Gehring und Peter Weibel, Ausst.kat. ZKM Karlsruhe, Museum für Neue Kunst, München: Hirmer Verlag, 2014, S. 130.

BEREICH B – Ordnen als Erkennen

B 1 – Ordnungen des Wissens und der architektur­theoretische Diskurs der frühen Neuzeit

Hans Aurenhammer

Kunsthistorisches Institut der Goethe-Universität Frankfurt am Main

Das Teilprojekt B 1 bezieht sich auf eine historische Formation, in der Architektur und Wissenschaft geradezu als Synonyme verstanden worden waren. Die Theoretiker der Renaissance (von Leon Battista Alberti bis Vincenzo Scamozzi) entwickelten einen emphatischen Begriff von Architektur als Modell einer rationalen, tendenziell utopischen Ordnung. Der von dem antiken Traktatautor Vitruv bloß rhetorisch gemeinte Anspruch, dass der Architekt in vielen Wissensdisziplinen bewandert sein solle, wurde gezielt missverstanden. Das Teilprojekt will diesen Topos, auf den sich noch heute Wunschbilder einer enzyklopädischen Architektur berufen, keineswegs fortschreiben. Es fragt im Gegenteil danach, wie sich die Auffassung von Architektur als universaler Ordnung sowohl des Wissens als auch der sozialen Praxis zu den gleichzeitigen frühneuzeitlichen Verwissenschaftlichungstendenzen verhielt. Wurde Architektur einerseits als die naturbeherrschende Technik schlechthin verstanden (etwa von Daniele Barbaro), so verwendeten die neuen Wissenschaften (wie die Astronomie) zwar architektonische Metaphern, beraubten das klassische Architekturverständnis jedoch letztlich seiner naturphilosophischen Grundlagen. Diesem komplexen Verhältnis wird in vergleichenden Analysen von architekturtheoretischen, wissenschaftlichen und staatsutopischen Texten des 15.-17. Jahrhunderts nachgegangen. Leitmotive der Untersuchung sind beispielsweise auch für die neuen Wissenschaften wichtige architektonische Ordnungsmetaphern: das Portal, das Theater oder der Tempel – etwa der den Fortschritt des astronomischen Wissens symbolisierende Tempel der Urania, der das Frontispiz von Johannes Keplers Tabulae Rudolphinae (1627) schmückt.